4000 KILOMETER NAMIBIA Auf Spurensuche im Safariparadies
Ein Besuch bei den letzen Hirtennomaden im Damaraland, Löwen, Elefanten und Giraffen im Etosha-Park, die gewaltigen Sanddünen in der Namib, fantastische Trekkingtouren im Fish River Canyon. Wer Namibias Höhepunkte hautnah erleben möchte, erfährt und erwandert sie auf dieser 4.000 Kilometer langen Traumrunde.Schon bei unserer ersten Begegnung mit den Himba ist uns wohl die Kinnlade nach unten gefallen. Plötzlich stand die Himba-Mutter, ihr Baby auf den Rücken gebunden, vor uns. Mitten im Supermarkt von Khorixas. In der Reihe mit Müsli, Konserven und Kindernahrung. Barfuß und barbusig.
Die Himba, eines der letzen halbnomadischen Völker, leben im abgelegenen Kaokoveld im nördlichen Namibia, in einer kargen Landschaft, halten Rinder, Ziegen und Schafe. Sie sind noch immer ihren uralten Traditionen verbunden. Die Frauen verhüllen ihre Brüste nicht und reiben ihre Körper mit einer Paste aus Rotholzpulver und Fett ein. Auffällig ist auch, dass Männern wie Frauen untere Schneidezähne fehlen. Diese werden im Kindesalter ausgeschlagen… ein schmerzhaftes Schönheitsideal.
Völlig abgeschottet von der Gegenwart – und vom Tourismus – leben aber auch die Himba nicht mehr. Auf dem Gelände der »Rustig Toko Lodge« bei Kamanjab hat sich ein komplettes Himbadorf angesiedelt – das man gegen einen Eintrittspreis von rund zwölf Euro besichtigen kann. Besucher können den Frauen bei der Herstellung des immens wichtigen Ockers zusehen. Oder wie sie ihren mächtigen Körperschmuck aus Leder, Schrauben und Nieten herstellen, sich gegenseitig bei den enorm aufwändigen Frisuren helfen. In den kleinen Rundhütten wird auch gezeigt, wie die Himba auf traditionelle Weise Feuer machen – obwohl auch sie natürlich längst Feuerzeuge haben. Auf einer der mit Stampflehm und Kuhdung abgedichteten Rundhütten liegt auch ein kleines Solarpanel von chinesischen Wanderhändlern, womit gerade ein Mobiltelefon aufgeladen wird. Auf einer Wäscheleine hängt ein Fußballtrikot vom »FC Barcelona«, das einem der Kinder gehört, die bereits in die örtliche Schule gehen. Der Besuch im Dorf hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Werden die Himba als Fotoobjekte instrumentalisiert? Vermarkten sie sich selbst? Lodge-Betreiber Nico Potgieter er klärt: »Wir arbeiten eng mit den Himba zusammen. Von dem Eintrittspreis kaufen wir Lebensmittel und stellen die medizinische Versorgung sicher«.
Vom Etosha-Park bis Swakopmund
Von Kamanjab sind es nur noch 60 Kilometer bis zum Galton Gate, der Westpforte des Etosha-Parks. Zunächst sehen wir auf unserem Game Drive nur ein paar nervöse Erdmännchen und einen Waran, der hüftwackelnd die Piste überquert. Doch bereits auf der ersten Anhöhe kommt uns eine Herde mit mehr als hundert Zebras entgegen. Flankiert von Dutzenden Gnus und ein paar Springböcken ziehen sie in einer kolossalen Staubwolke Richtung Sonnenuntergang. Wow! Wir bleiben die erste Nacht im Camp von Okaukuejo. Dort bietet das Wasserloch gleich nach Sonnenuntergang bestes Safarikino.
Giraffen bücken sich gleichermaßen grazil und umständlich zum Trinken. Ein Schakal schleicht vorbei. Zwei Nashörner donnern mit ihren Schädeln aneinander, weil das Revier anscheinend zu klein ist. Die vereinte Tierwelt Afrikas ist durstig. Spät nachts noch hören wir die Löwen brüllen. Trotz des bald fünf Meter hohen Zauns rings um das Camp kräuseln sich bei diesem Bass die Nackenhaare.
Mit den ersten Sonnenstrahlen sind wir wieder auf der Piste. Wir sind noch keine zehn Kilometer gefahren, da liegen Herr und Frau Löwe mitten auf der Straße. Verlustieren sich ausgedehnt bei der Fortpflanzung. Erst nach geraumer Zeit trollt sich das emsige Liebespaar an den Straßenrand.
Wir steuern gen Osten Richtung Halali. Sabbernde Tüpfelhyänen kauern auf der Straße, geben nur widerwillig die Bahn frei. Giraffen ragen turmhoch aus dem Dickicht hervor. Eine Handvoll geparkter Jeeps signalisiert die nächste Attraktion. Auf der Zusatzschleife bei Ngogib huscht ein Leopard über die Schotterpiste. Kurz vor dem Namutomi-Fort bei Chudob haben wir die Big Five – Löwe, Nashorn, Büffel, Leopard und Elefant – dann schon im Kasten: An einem versteckten Wasserloch planscht eine ganze Herde Dickhäuter. Der monströse Bulle nimmt zuerst ein ausgedehntes Schlammbad und schlendert dann seelenruhig an unserem Jeep vorbei.
Namibia ist groß. Sogar mehr als doppelt so groß wie Deutschland! Aber bei nur rund zwei Millionen Einwohnern kommt auf der Straße kein Rummel auf. Der Mix aus asphaltierten Hauptstraßen und komfortabel geschotterten Pisten ermöglicht ein ordentliches Stundenmittel. Vom Damaraland fräsen wir uns wie in Trance weiter gen Süden. Vorbei am monumentalen, über 2.500 Meter hohen Brandbergmassiv bei Uis steuern wir nach Twyfelfontain. Staunen über die ältesten Felsgravuren und - malereien Afrikas. Die bis zu 26.000 Jahre alten Darstellungen von einfach gestalteten Jagdszenen und stilisierten Menschen und Fabelwesen sind erstaunlich gut erhalten.
Auf der C 34 tuckern wir weiter südwärts, landen bei zäher Nebelsuppe an der Skelettküste und sehen schemenhaft Dutzende Schiffswracks in der wilden Brandung.
Wer nach den langen Fahrtzeiten selbst wieder aktiv werden will, findet keine 30 km weiter in Swakopmund beste Voraussetzungen: Quadfahren, Parasailen, Sandboarden… Lokale Veranstalter bieten alle möglichen Spaßpakete auf den Sanddünen an. Ein Stadtbummel führt vorbei am Brauhaus, dem »Restaurant zur Weinmaus«, am »Hotel Schütze«. Die koloniale Vergangenheit wird an zahlreichen Bauten und Schriftzügen offenkundig. Swakopmund wächst und gedeiht. An der Waterfront entsteht gerade ein neues Luxusobjekt mit Hotel und Shopping-Meile. Obwohl nur 20 Prozent Deutschstämmige in der Kleinstadt wohnen, ist ihr Einfluss auf das Stadtleben unverkennbar. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die deutschen Straßennamen längst durch afrikanische ersetzt wurden – eine Maßnahme, die übrigens auch von der Mehrheit der deutschstämmigen Namibier durchaus begrüßt wurde.
Monumentale Sanddünen
Über Walvis Bay machen wir einen Satz nach Südosten. Solitaire ist ein wichtiger Knotenpunkt mit Tankstelle, Campingplatz, Restaurant. Der eingewachsene »Gartenzaun« aus verrosteten Oldtimern und uralten Küchengeräten vermittelt schon ein besonderes Flair. Wer hier nur tankt, verpasst was! Denn in Moose McGregors »Desert Bakery « gibt es legendäres Gebäck und erstklassiges Brot. Der schottische Konditor Percy »Moose« McGregor hatte sich einst in die Einöde verliebt und schaffte es mit seinen Leckereien in sämtliche Reiseführer. Leider verstarb er 2014 viel zu früh an einem Herzinfarkt – aber seine Rezepte leben weiter.
Eine Tüte Nussecken versüßt uns die kurze Etappe zum Namib- Naukluft-Park. In diesem mit fast fünf Millionen Hektar größten Schutzgebiet Afrikas erreichen die Sanddünen monumentale Höhen von bis zu 300 Metern. Hier herrschen oft Temperaturen von weit über 40 Grad Celsius. Darum musste die Parkstraße mit extrem wärmebeständigem Spezialasphalt konstruiert werden. Bei Kilometer 45 ragt »Dune 45« wie eine mustergültige Pyramide in die Höhe. Der Aufstieg ist mühsam, aber der Blick auf die Namib, diesen Kosmos aus rotem Sand, der sich von Angola bis hinunter nach Südafrika erstreckt, ist jede Strapaze wert.
Die Sterndünen mit ihren ge - wellten Graten gruppieren sich um ausgetrocknete Wasserpfannen – die sogenannten Vleis. Im Dead Vlei recken über 500 Jahre alte Akazien ihre toten Äste, scheinbar um einen letzten Tropfen Wasser bet- telnd, in den stahlblauen Himmel. Die letzten Kilometer Sandpiste zum Dead Vlei sind selbst für Allrad- Jeeps eine harte Nuss. Unser Landcruiser bockelt wie ein wildgewordenes Zebra in den kniehohen Sandrinnen und hoppelt heftig über Bodenwellen. In den Haushaltskisten tanzen Töpfe und Geschirr lautstark Polka. Wir ziehen eine kilometerlange Staubfahne nach uns. Doch wer bremst verliert und bleibt stecken – dann geht es häufig nur noch mit Sperrdifferenzial und Untersetzung weiter.
Trekkingtour im Fish River Canyon
Im Fish River Canyon, einer der größten Schluchten der Welt, stapfen wir zwei Tage durch Flusskieselfelder, klettern über Felsplatten und surfen über Sanddünen. Übernachten in einfachen, aber stilvollen Hütten. Den Ge päck - transport übernimmt zum Glück eine Maultier-Karawane. Da kommt Pionierstimmung auf. An den mächtigen Gesteinsschichten lassen sich dramatische Jahrmillionen der Erdgeschichte ablesen. Auf der Trekkingtour qualmen zwar mittendrin mal die Socken, doch allein die dramatischen Schattenspiele zum Sonnenaufund -untergang sind ein psychedelisches Erlebnis. Wenn die Guides abends noch zum Sundowner laden und der Blick weit über den monumentalen Canyon reicht, jubilieren die Glückshormone.
Über Keetmannshoop starten wir zur Rückreise, 700 Kilometer bis Windhoek. Kleinstädte, die dem Tourismus nur als Durchgangsstation dienen, leiden häufig an einer enormen Arbeitslosigkeit. Im Nu tummeln sich etliche »Parkwächter« um uns, die gegen einen Obolus gern auf unser Auto aufpassen. Hier sollte man in ein kleines Trinkgeld investieren: Zum einen werden Autos in sozialen Brennpunkten tatsächlich gerne mal geknackt, was einen enormen Ärger mit sich bringt. Zum anderen hilft die Summe der Trinkgelder letztlich meist einer mehrköpfigen Familie, über die Runden zu kommen.
Zu Namibias größten Problemen zählen AIDS, die hohe Arbeitslosigkeit und die Ungleichheit der Lebensverhältnisse. Wer von einem besseren Leben träumt, den zieht es nach Windhoek, Namibias etwa 320.000 Einwohner zählende Hauptstadt. In der Haupteinkaufsstraße der überschaubaren Innenstadt sehen wir Herero-Frauen in viktorianischer Tracht, hippe Jugendliche mit coolen Sonnenbrillen und Farmerfamilien aus dem Umland. Die Mieten im Ort selbst sind für die Armen allerdings unbezahlbar. Sie leben in Katutura, einer Township draußen vor der Stadt.
Doch trotz aller Probleme ist Namibias junge Demokratie auf einem guten, selbstbewussten Weg. Ein Zeichen dafür ist auch, dass das Reiterstandbild des »Südwesters « in Windhoek, der seit 1912 mit dem Gewehr in der Hand den deutschen Kolonialismus verherrlichte, nun endgültig vom Sockel gestürzt wurde. Nach kontroversen Diskussionen wurde ihm der Status eines Nationaldenkmals aberkannt.
Tok Tokkie-Trail – die Wüste lebt
Der Tok Tokkie Trail führt als leichte dreitägige Wüstenwanderung in die Namib, in das riesige Namib Rand Nature Reserve (200.000 ha). Diese Welt hat eigene Hauptdarsteller, hoch spezialisierte Profis. Sie sind zwar kleiner als Löwe & Co, aber deswegen noch lange nicht uninteressant. Unser Guide Richardo sprintet kurz über die Düne. Mit einem gezielten Griff fischt er einen großen pechschwarzen Käfer aus dem welligen Sand – einen Tok Tokkie. Die kleinen Kerle klopfen mit dem Po auf den Sand – Tock Tock – um zu kommunizieren. Sie sind geniale Überlebenskünstler, decken ihren Wasserbedarf durch den Morgennebel, der aus dem kalten Atlantik aufsteigt. Richardo gräbt giftige Spinnen aus, fängt Skorpione. Sie landen im Lupenbecher und werden ausgiebig inspiziert. Er weist uns auf die Schleifspur einer Sandviper hin. Schon wenige Meter weiter entdecken wir die Giftschlange in einem Busch. Mit Respekt und Distanz bleibt auch diese Situation völlig gefahrlos. Als Wanderer schlafen wir unter freiem Himmel. In Feldbetten mit dicker Matratze und Schlafsack. Der Sternschnuppenhagel toppt jeden »Star-Wars«-Film. Info: Der TokTokkie-Trail umfasst Tagesetappen um 10 km und luxuriöse Rundumversorgung, ein kleiner Tagesrucksack mit Verpflegung für zwischendurch wird gestellt (€ 195, Tel. 00264-61-264521, www.toktok kietrails.com).
Autor: Norbert Eisele-Hein(1/2016)