Flugscham statt Vielfliegerei? Wie Klimaschutz und Urlaub zusammenpassen
Reisen ist großartig, und das Flugzeug bringt uns an die schönsten Orte der Welt. Das aber ist extrem schädlich für das Klima - ein Dilemma, das für Touristen kaum zu lösen scheint. Experten fordern politische Maßnahmen, doch auch der einzelne Urlauber kann etwas tun.Die progressiven Schweden haben sich das Wort «Flygskam» ausgedacht. Flugscham ist die Scham davor zu fliegen. Denn der Luftverkehr, der Urlauber an die faszinierendsten Orte der Welt bringt, schadet mit seinen Emissionen dem Klima auf der Erde.
Ein Dilemma, dem sich die Reisemesse ITB (6. bis 10. März) diesmal widmet: Wie passen das Reisen und der Schutz des Planeten zusammen? Und was kann der einzelne Tourist tun, um nachhaltiger zu reisen?
Massiver CO2-Ausstoß bei Flugreisen
Die globale Erwärmung soll in diesem Jahrhundert maximal 1,5 Grad betragen - nur dann seien die Folgen des Klimawandels noch halbwegs beherrschbar, warnt der Weltklimarat IPCC. Dafür sind jedoch massive Anstrengungen nötig, der CO2-Ausstoß pro Kopf müsste drastisch sinken. Flugreisen verursachen besonders viele Emissionen. Ein «Weiter wie bisher» führe in den Abgrund, stellt die Messe Berlin fest und fragt: Wie lange können wir noch so reisen wie bisher?
«Die Menschen sind umweltbewusst, trotzdem verzichtet kaum jemand auf das Fliegen», erklärt Michael Kopatz vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. «Wenn alle um mich herum in den Urlaub fliegen, will ich das auch.» Das Klimaproblem bekomme man moralisch nicht in den Griff: «Niemand verändert sein Verhalten freiwillig - besonders, wenn man für 29 Euro nach Mallorca fliegen kann.»
Das Fliegen teurer machen
Kopatz plädiert dafür, die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen. Der Forscher fordert zum Beispiel, dass Flughäfen nicht weiter ausgebaut und Starts und Landungen begrenzt werden. Seine Maxime: Verhältnisse ändern Verhalten. «Ich will den Leuten das Reisen nicht madig machen, aber wir müssen einen Rahmen setzen.» Der Luftverkehr wird subventioniert, es gibt keine Kerosinsteuer in Deutschland. Mehr Klimaschutz könnte das Fliegen letztlich teurer machen.
Den Flugverkehr zu beschränken oder das Fliegen zu verteuern, ist allerdings eine unbequeme Forderung. Wäre es nicht besser, wenn alle weniger fliegen? «Ein klares Jein», sagt der Leiter der ITB, David Ruetz. Denn das Reisen in ferne Länder hat ja auch viele positive Effekte. Für den Urlauber, der andere Kulturen kennenlernt und seinen Horizont erweitert. Und für die Menschen vor Ort, weil Tourismus Investitionen und Devisen ins Land bringt.
Wie kann man nachhaltiger reisen?
Trotzdem sind viele Klimaschützer der Meinung, dass der Planet ohne echten Verzicht nicht zu retten ist. «Flugreisen sind die klimaschädlichste Art sich fortzubewegen», urteilt Laura Jäger von der Arbeitsstelle Tourism Watch bei Brot für die Welt. «Wenn das Taxi zum Flughafen mehr kostet als das Flugticket, ist das bedenklich.»
Zwar fordert auch Jäger politische Maßnahmen wie die Besteuerung von Kerosin. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Für Menschen, die nachhaltiger reisen wollen, hat Jäger mehrere Empfehlungen. Erstens: Reiseziele mit kürzerer Anreise wählen - also eher Italien als Indonesien. Zweitens: ein klimaschonendes Verkehrsmittel wie die Bahn nutzen. Drittens: auf Flugreisen generell möglichst verzichten. Viertens: wenn man fliegt, dann seltener - und dafür länger vor Ort bleiben. Und fünftens: für die Emissionen eine Kompensation leisten.
«Es geht auch darum, wieder langsamer unterwegs zu sein»
So funktioniert das Kompensieren eines Fluges: Urlauber zahlen Initiativen wie Atmosfair oder Klima-Kollekte einen Ausgleichsbetrag, der dann in Klimaschutzprojekte investiert wird. Dadurch sollen das CO2 und andere klimaschädliche Faktoren des Fliegens an anderen Orten wieder eingespart werden.
Jäger ist überzeugt, dass der Verzicht auf das Flugzeug dem Einzelnen ein besseres Reiseerlebnis bescheren kann: «Es geht auch darum, wieder langsamer unterwegs zu sein, den Weg als Ziel zu erschließen, das Überwinden von Distanzen und die Strecke zum Erlebnis zu machen anstatt schneller, weiter und kürzer zu reisen. Wer Reiseziele im Eilverfahren abklappert, verpasst viel. Wer sich vor Ort Zeit nimmt, wird mit neuen Eindrücken und Erinnerungen belohnt.»
Auf das Fliegen verzichten?
Die Realität des Massentourismus sieht freilich meist anders aus. Dabei haben viele Urlauber gute Absichten: Laut einer aktuellen Umfrage des Portals Travelzoo wäre fast die Hälfte der Menschen in Deutschland (46 Prozent) dazu bereit, für den Umweltschutz auf das Fliegen zu verzichten. Und sogar 70 Prozent wären bereit, kurze Flugreisen für sich zu streichen. Doch was Menschen in Umfragen behaupten und was sie letztlich tun, sind zwei verschiedene Dinge. Nur ein Bruchteil aller Flugreisen wird überhaupt kompensiert.
Reisen ist auch ein Lifestyle-Faktor. «Wir sind permanent von Bildern umgeben, die Menschen teilen Fotos auf Social Media», erklärt Jäger. «Das steigert den Wunsch und den Druck, selbst viel unterwegs zu sein.» Verzicht wirkt da schnell uncool - und passt auch nicht zu dem vorhergesagten starken weiteren Wachstum der Reisebranche. Zum Start der ITB forderte kein wichtiger Vertreter der Tourismuswirtschaft, dass zugunsten des Klimaschutzes weniger geflogen werden müsse. «Man weicht dem Thema aus», so sieht es Klimaforscher Kopatz. Und viele kleine Maßnahmen zum Klimaschutz seien lediglich «Öko-Lametta». Zumindest die ITB ist also kein Ort für «Flygskam».
Anteil der Flugreisen ist weiter gestiegen
Das Flugzeug hat als Verkehrsmittel für den Weg in den Urlaub weiter an Bedeutung gewonnen. Der Anteil der Flugreisen an allen Urlaubsreisen habe im Jahr 2018 bei 41 Prozent gelegen, 2010 waren es noch 37 Prozent. Zu diesem Ergebnis kommt die Reiseanalyse der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR), die auf der Reisemesse ITB in Berlin vorgestellt worden ist. Berücksichtigt wurden Urlaubsreisen ab fünf Tagen Dauer.
Das beliebteste Transportmittel für den Weg in den Urlaub war 2018 allerdings weiterhin das Auto mit einem Anteil von 45 Prozent. Der Wert ist im Lauf der Jahre gesunken: 2010 waren es noch 48 Prozent. Der Anteil der Bahn blieb unverändert bei 5 Prozent. Der Bus mit 6 Prozent in 2018 verlor zwei Prozentpunkte im Vergleich zu 2010.
Die Ergebnisse zeigen, dass das Flugzeug vor allem bei Auslandsreisen genutzt wird - hier lag der Anteil mit 56 Prozent deutlich über dem Autourlaub-Anteil, der 34 Prozent erreichte. Ebenfalls auffällig: Die Bahn wurde nur für 2 Prozent aller Auslandsreisen genutzt, bei den Zielen innerhalb Deutschlands erreicht der Wert dagegen 14 Prozent.
(07.03.2019, dpa)