Neues entdecken Stippvisite durch Europas Kulturhauptstadt Esch in Luxenburg
Vom Land der roten Erde zu einer grünen, nachhaltigen Region: Esch in Luxemburg ist Kulturhauptstadt Europas 2022 - und will Reisende dazu einladen, einem epochalen Wandel nachzuspüren.Das Kulturhauptstadtjahr wird in Esch in Luxemburg mit Musik, Lichterzauber und Tänzen beginnen. Aber ohne Feuerwerk. «Das wäre ja nicht nachhaltig», sagt Francoise Poos.
Die Kulturwissenschaftlerin plant das umfangreiche Programm mit rund 2000 Veranstaltungen in einer Region, die von der Schwerindustrie mit Erzbergbau, Eisenhütten und Walzwerken geprägt ist. Und die künftig grün werden will. Dieser Kontrast soll Touristen anlocken.
Das Jahr als Europäische Kulturhauptstadt wird am 26. Februar 2022 offiziell eröffnet. Esch an der Alzette und 18 weitere Gemeinden im Süden Luxemburgs und im benachbarten Frankreich tragen den Titel. Sie teilen ihn sich dabei mit Kaunas in Litauen und Novi Sad in Serbien. Die drei Städte sind jeweils die zweitgrößten ihres Landes und stehen im Schatten der Hauptstädte Luxemburg, Vilnius und Belgrad.
Esch an der Alzette hat dabei lediglich 36.000 Einwohner. Hier haben die Verantwortlichen das Schlagwort «Remix» als Oberbegriff für die vielfältigen Aktivitäten gewählt. Gemeint ist der fortwährende Wandel der Region mit insgesamt 200.000 Bewohnern, im Land Luxemburg selbst und in den acht teilnehmenden französischen Nachbargemeinden der Communauté de Communes Pays Haut Val d'Alzette.
Das Land der roten Erde
Über Jahre bestimmten Minen und Malocher die Gegend. Heute gehört beides einer Vergangenheit an, von der im Kulturhauptstadtjahr viel die Rede sein wird.
Diese Vergangenheit beginnt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit dem industriellen Abbau der Eisenerzvorkommen. Zuerst im Tagebau, später auch in waagerechten Bergwerksstollen. Minette (kleine Mine) heißt das geförderte Eisenerz mit dem hohen Phosphoranteil. Ein hoher Eisenanteil in der Erde färbt sich durch Feuchtigkeit und Oxidation rot. Als «Land der roten Erde» wird die Gegend im Süden des Großherzogtums Luxemburg auch bezeichnet.
1882 wird in Dudelange (Düdeldingen) die erste Eisenhütte in Betrieb genommen. Die Schwerindustrie trifft die Dörfer bald mit voller Wucht. Arbeiter aus halb Europa strömen herbei, angelockt von guten Löhnen für harte Arbeit in Minen und Hüttenwerken.
Esch wächst in kurzer Zeit vom 1000-Seelen-Dorf auf annähernd 30.000 Einwohner. Die Einwanderer kommen aus Polen, Deutschland und Italien, ab den 1960er Jahren auch aus Portugal - etwa 80.000 Portugiesen sind es insgesamt. Sie stellen in Luxemburg noch heute die größte Gruppe der Arbeitsmigranten.
Mehr als Banken und Finanzen
«Durch das Kulturhauptstadtjahr 2022 rückt der Industriegürtel zum ersten Mal ins Licht der europäischen Öffentlichkeit», sagt die luxemburgische Kulturministerin Sam Tanson. Dort stünden imposante Industriedenkmäler neben der Natur des streng geschützten Unesco-Biosphärenreservates Minett. «Unser Land ist nicht nur der Finanz- und Bankenplatz, auf den wir häufig reduziert werden.»
Nicht Banken, Finanzdienstleister, Telekommunikationskonzerne oder Internetgiganten haben den knapp 650.000 Einwohnern Luxemburgs ihren heutigen Wohlstand beschert. Vielmehr schufen Arbeiter und Manager in Bergwerken und Eisenhütten über viele Generationen die Grundlage für das gute, nicht selten teure Leben von heute.
Europa ist in Luxemburg gegenwärtig wie kaum in einem zweiten Mitgliedsland der EU. Manche Urlauber werden sich erinnern: Am 14. Juni 1985 fielen durch das Abkommen von Schengen in Luxemburg die Grenzkontrollen weitgehend weg: Reisefreiheit für Millionen Europäer.
Die Geschichte der Region erwandern
Zu den Bergwerken und Eisenhütten vergangener Zeiten führt der neue Minett Trail, ein 90 Kilometer langer Fernwanderweg. Er windet sich vom winzigen Örtchen Clemency (Küntzig) im Nordwesten der Region bis zum Eisenbahnknotenpunkt Bettembourg (Bettemburg).
Über Nacht sollen die Wanderer in elf Herbergen entlang der Strecke einkehren können. Eine Schule, ein Wasserwerk, ein Ballonhaus, eine Holzhütte und ein Eisenbahnwaggon werden in diesen Wochen aufwendig saniert, errichtet oder umgebaut. Die ungewöhnlichen Nachtquartiere sollen ab April 2022 bereit stehen, jedoch ohne Verpflegungsangebot.
Auf dem Trail wechselt sich Natur mit alten Bergarbeitersiedlungen ab. Da ist zum Beispiel das idyllische Dörfchen Lasauvage (Wilden) im Crosnière-Bachtal. In Esch-Belval führt die Route vorbei am Stahlwerk von Arcelormittal, wo mehr als 1000 Beschäftigte Spundwände und Stahlträger produzieren. Gestern und heute auf einem Weg.
Wo die Natur wieder eingezogen ist
Rund zwölf Kilometer weiter tauchen die Wanderer in Wälder voller Buchen und Eichen ein - was für ein Kontrast! Noch bis in die 1960er Jahre hinein wurde hier im Ellergronn Erz gefördert. Heute zählt die Talaue zu den sechs Kernzonen des Biosphärenreservats Minett. Es wurde im Oktober 2020 gebildet und ist das einzige des Landes.
«Die Menschen hatten vieles durch den Erzabbau zerstört, manche Ecken sahen aus wie eine Mondlandschaft», sagt Yann Logelin, Sprecher des Reservats. Doch als die Erzminen dicht machten und die Menschen gingen, eroberte sich die Natur ihr Terrain zurück. Kammmolche, Zaun- und Mauereidechsen leben an den Abbruchkanten der Grubenlöcher, 28 Orchideenarten wurden gezählt. Schmetterlinge, Fledermäuse, Heidelerchen und scheue Wildkatzen haben ihre Lebensräume gefunden.
«Dabei ist dieses Reservat mit 884 Einwohner pro Quadratkilometer eines der am dichtesten besiedelten weltweit», sagt Logelin.
Ein Pflicht-Halt für Eisenbahnfans
Die Industriekultur im Land der roten Erde bleibt als ein Kapitel der regionalen Geschichte erhalten. Im Ellergronn sind Naturschutzzentrum und das Bergbaumuseum der Cockerill-Grube direkte Nachbarn. In Fond-de-Gras (Gnadengrund) führt der Fernwanderweg in das Industrie- und Eisenbahnmuseum Minett-Park Fond de Gras - mit Dampfloks, dem historischen Zug Train 1900 und der Grubenbahn Minièresbunn.
Ehrenamtliche bringen die Züge zwischen dem 1. Mai und Ende September 2022 zwischen Fond-de-Gras, Pétange (Pettingen) und Lasauvage auf verschiedenen Schienensträngen ins Rollen.
Aus halb Luxemburg werden im Minett-Park industrielle Zeitzeugen versammelt, sie wurden Stück für Stück abgebaut und im Museum wieder errichtet: Aus Esch-Belval stammt eine ausgediente Stahl-Walzstraße, aus dem Luxemburger Stadtteil Hollerich das Elektrizitätswerk und aus Differdange (Differdingen) der Krämerladen Victor Binck - samt Originaleinrichtung aus den 1920er Jahren.
Wandel und ein Blick auf die großen Fragen
Nirgendwo in der Region wird der krasse Wandel von der Schwerindustrie zur modernen Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft deutlicher als im Escher Stadtteil Belval. Zwei Hochöfen ragen hier in den Himmel, Ende der 1990er Jahre stillgelegt. Heute sind die einst fauchenden Ungetüme markante Industriedenkmäler.
Ansonsten befinden sich an diesem Standort Forschungseinrichtungen, Start-ups, eine Universität, eine Bibliothek, Verwaltungen, Banken, Cafés, Fast-Food-Restaurants, die Veranstaltungshalle Rockhal und der neue Bahnhof Belval-Université. Aus dem Boden gestampft wurde auch die recht austauschbare Einkaufsgalerie Belval Plaza.
In Zukunft werden im Quartier Esch-Belval 7000 Menschen wohnen und rund 20.000 arbeiten. Die Uni soll bis zu 7000 Studierende ausbilden. Der Wandel von Belval seit der Jahrtausendwende ist wie eine Blaupause für das Kulturhauptstadtjahr.
Deren Macher werfen Fragen auf: Wie können wir Europäer sein, angesichts der globalen Herausforderungen von Klimawandel und Migration? Wie werden wir zusammen leben diesseits und jenseits der längst nicht mehr wahrnehmbaren Landesgrenze? Bis zu 145.000 Menschen aus Frankreich und Deutschland kreuzen die Grenze täglich, um in Luxemburg zu arbeiten, Megastaus und Umweltbelastung inbegriffen.
Manche der Veranstaltungen und Projekte in den 19 Gemeinden werden sich im Kulturhauptstadtjahr genau mit diesen Fragen beschäftigen. Doch kein Ausblick ohne Rückblick: Die Kunsthalle in Esch etwa zeigt vom 18. Juni bis zum 4. September 2022 eine Schau zum Stahldesign.
Was von der Zukunft bleibt
Das Budget für das Kulturhauptstadtjahr beläuft sich auf 56,5 Millionen Euro, wovon Luxemburg 55 Millionen Euro trägt. Manches wird schon am Jahresende 2022 in Vergessenheit geraten und Anderes im Sinn der vielbeschworenen Nachhaltigkeit in die Zukunft leiten.
Die Intendantin des Escher Stadttheaters, Carol Lorang, freut sich über die Erweiterung ihrer Spielstätte um eine kleine Bühne. «Unser neues kleines Haus», wie sie es freudig nennt, entsteht gerade mit 176 Sitzplätzen in einem ehemaligen, leerstehenden Kinosaal. Am 16. Juni 2022 wird sich zum ersten Mal der Vorhang öffnen.
«Ohne die Gelder aus dem Kulturhauptjahr hätten wir die zusätzliche Bühne niemals bekommen», sagt Lorang. Dann wäre aus dem Kino vielleicht ein Supermarkt geworden. Oder eine Spielhalle.
Informationen: Esch an der Alzette
Anreise: Luxemburg hat einen internationalen Flughafen mit direkten Verbindungen nach Deutschland. Nachhaltiger ist die Anreise mit der Bahn über Trier und Luxemburg-Stadt nach Esch. Der öffentliche Nahverkehr ist in Luxemburg kostenlos - auch für Touristen.
Besichtigung: Wer fit ist und keine Höhenangst hat, sollte den Hochofen A in Esch-Belval besichtigen. 180 Stufen führen hinauf zur Gießplattform des Industriedenkmals in luftigen 40 Meter Höhe. Ab April 2022 ist der Besuch wieder möglich, es gibt auch geführte Touren. Anmeldung unter: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.
Informationen: Esch 2022, Avenue des Hauts Fourneaux, L-4362 Esch-sur-Alzette (Tel. +352/28 83 20 22, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.esch2022.lu/de).