«Grenzen der Freundschaft» Eisenhüttenstadt: Ausstellung zeigt Reiselust der DDR-Bürger
Reisen ins Ausland gehörten für DDR-Bürger nicht zur Normalität, auch nicht in befreundete sozialistische Länder. Vor 50 Jahren wurden die Grenzen zwischen der DDR, Polen und der Tschechoslowakei überraschend durchlässiger. Eine neue Ausstellung widmet sich diesem Reiseboom.«Wir sind als Studenten in den 1980er Jahren in großer Gruppe von Dresden aus mit einem Sonderzug ins Riesengebirge gefahren», erinnert sich Ilona Weser mit leuchtenden Augen. Individuell mit einer Freundin sei sie in dieser Zeit mehrfach zum Zelten an der polnischen Ostsee gewesen.
«Man musste damals das Beste aus der sich bietenden Gelegenheit machen - immerhin die Gedanken waren ja frei», sagt die Rentnerin aus Ratzdorf (Oder-Spree) beim Besuch der neuen Sonderausstellung des Museum Utopie und Alltag in Eisenhüttenstadt (Oder-Spree).
Schau illustriert Reiselust der DDR-Bürger
«Grenzen der Freundschaft» nennt sich die Schau im Dokumentationszentrum für DDR-Alltagskultur des Museums. Ganze Wände voller bunter Postkarten, Reisebroschüren und Fotoalben in Vitrinen, dazu Wanderschuhe, Sonnenschutzschaum, Camping-Utensilien aus DDR-Produktion sowie Souvenirs und Konsumgüter aus Polen und der CSSR illustrieren die Reiselust der DDR-Bürger. Möglich machten das bilaterale Abkommen, die 1972 in Kraft traten und das pass- sowie visafreie Reisen zwischen den drei benachbarten Ländern erlaubten.
Zuvor war das Reisen in «sozialistische Bruderstaaten» nur per Visum und mit staatlicher Genehmigung möglich, Grenzen blieben nur beschränkt passierbar. «Vor 50 Jahren wurde quasi eine wahre Welle des Massentourismus losgetreten, denn touristische Aktivitäten zählten zu den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen in der DDR», sagt Ausstellungs-Kurator Axel Drieschner. In den ersten fünf Jahren nach Inkrafttreten der Abkommen wurden fast 50 Millionen Grenzübertritte von DDR-Bürgern nach Polen und in die CSSR registriert.
«Die Menschen nutzten diese neue Möglichkeit des individuellen - statt staatlich organisierten und kontrollierten - Reisens mit dem Auto oder dem Campinganhänger», erklärt Drieschner. Tschechoslowaken fuhren demnach gern an die ostdeutsche Ostsee, Polen zum Einkaufen nach Berlin und DDR-Bürger verstärkt ins Riesengebirge oder die Hohe und Niedere Tatra. Für die Ausstellung recherchierten Studenten der Frankfurter Europa-Universität «Viadrina» zwei Semester lang im Depot des Museums, schauten sich Filme an, die DDR-Bürger bei ihren Auslandsreisen mit einer Kleinfilmkamera gemacht hatten, blätterten in Fotoalben, die Zeitzeugen als Leihgaben zur Verfügung stellten. «Das Thema Reisen ist bei uns wirklich gut dokumentiert», freut sich Museumsleiterin Florentine Nadolni.
50. Jubiläum des DDR-Reiseverkehrs
Im vergangenen Jahr war die Idee einer gemeinsamen Ausstellung zum 50. Jubiläum des DDR-Reiseverkehrs entstanden. «Wir kooperieren als Museum schon seit Jahren mit Universitäten - der Kunsthochschule Berlin-Weißensee und jetzt auch mit der Viadrina.» Aktuell läuft eine Sommerschule, bei der die Studenten die einstigen «Grenzen der Freundschaft» mit einem Bus abfahren.
«Als Amerikaner dachte ich immer, alle Grenzen seien zu DDR-Zeiten für die Bürger dicht gewesen», berichtet Wissenschaftler Mark Keck-Szajbel. Umso erstaunter sei er gewesen, als er vor zehn Jahren an die «Viadrina» kam und von den Reiseabkommen erfuhr. «Ich habe mit vielen Leuten gesprochen - quasi jeder hatte eine Reisegeschichte. Das Thema interessierte mich immer mehr», meint der Uni-Dozent, der seine kulturwissenschaftliche Dissertation darüber schrieb und das Studenten-Projekt leitete.
«Es war das Gefühl, mal im Ausland zu sein», erinnert sich Odette Bollfras. Die Frankfurterin war mit ihren Eltern regelmäßig in der Hohen und Niederen Tatra mit dem Wohnwagen. Auf den Zeltplätzen habe es mehr Freiheiten gegeben als in der DDR. «Das Gefühl war einfach toll», beschreibt die 52-Jährige. Mitgebracht hat sich die Familie unter anderem Nivea-Creme und begehrte Kristallschalen, manches sogar in Bettdecken geschmuggelt. Der Konsum habe beim Reisen der drei beteiligten Länder eine große Rolle gespielt, macht Nadolni deutlich. «Das ging hin bis zum Schmuggel. Polen war für DDR-Bürger beispielsweise ein wichtiges Einkaufsland für Schallplatten, Bücher und auch Filme, die es östlich der Oder nicht zu kaufen oder zu sehen gab.» Mehrfach seien angesichts des ungeahnten Reise- und Einkaufbooms im Laufe der Jahre Zollvorschriften und Einfuhrverbote verhängt und so wiederum Grenzen gesetzt worden, weiß die Museumsleiterin.
Nadolni ist überzeugt davon, dass die Ausstellung viele Besucher finden wird. «Was für uns in der Europäischen Union quasi selbstverständlich geworden ist, begann vor 50 Jahren zumindest teilweise für DDR-Bürger. Daran gibt es sicher noch viele Erinnerungen», hofft sie. Denn diese Geschichten und Erlebnisse vor dem Hintergrund damals spannender politischer Entscheidungen will das Museum bewahren. Zwei Ausstellungsräume sind so auch als offenes Archiv gestaltet. Gäste sind eingeladen, Objekte als Leihgaben vorbeizubringen, die sie mit ihren Reisen verbinden und die persönlichen Erinnerungen mit anderen zu teilen. An einer großen Landkarte an der Wand können Besucher mit farbigem Klebeband ihre früheren Reiserouten markieren und kurze Geschichten dazu notieren.